Poetry-Slam und Gedenkveranstaltung
Wir wollen Zweitzeug*innen sein!

Wir wollen Zeugen sein
Heute vor 86 Jahren
brannte das Haus,
in dem einst Lachen und Leben wohnten.
Heute vor 86 Jahren
stand die Welt still
für Rolf Abrahamsohn.
Geboren in Marl, 1925,
als dritter Sohn,
in einer Stadt, die er Heimat nannte,
die eines Tages keine Heimat mehr war.
Ein Vater,
der für Deutschland kämpfte,
im Ersten Weltkrieg
als deutscher Soldat.
Ein Geschäft, das Textilien verkaufte,
ein Zuhause, das Frieden versprach.
Eine Kindheit, glücklich,
mit Freunden, die keine Unterschiede kannten,
Juden, Christen – es zählte nicht.
Bis das Böse die Macht übernahm,
bis Hass die Luft verschlang.
Am 9. November 1938 –
heute vor 86 Jahren,
kam die SA und mit ihr die Gewalt.
Sie brannten das Haus,
das Feuer fraß sich durch die Wände,
und der Vater?
Er öffnete die Türen,
glaubte an Hilfe,
doch es kam kein Wasser,
nur Blut.
Sie schlugen ihn nieder,
halbtot.
Und plötzlich war klar:
Hier gibt es keine Sicherheit mehr,
keinen Schutz,
kein Zuhause.
Die Flucht begann –
doch nicht für alle.
Vater und Bruder zuerst,
über die Grenze nach Belgien.
Für die Mutter, Rolf und Norbert kam die Hilfe zu spät.
Die Grenzen schlossen sich,
die Hoffnung zerbrach.
Januar 1942.
Rolf war 17,
als der Bescheid kam:
Deportation.
Von Recklinghausen nach Riga,
in ein Getto,
in den Wahnsinn.
Mutter und Sohn getrennt,
doch abends,
am Zaun, sah er sie noch.
Ein Zaun, der mehr trennte, als Menschen.
Sie überlebten die ersten Tage,
doch dann kamen die Lager.
Eins nach dem anderen:
Kaiserwald, Buchenwald, Stutthoff, Theresienstadt …
Und immer war da dieser Zaun,
immer war da diese Trennung.
Seine Mutter,
zerbrochen an der Arbeit,
im Lager,
wo sie Batterien ohne Schutz zerlegte.
Er sah sie noch einmal,
durch den Stacheldraht.
Das letzte Mal.
Rolf Abrahamsohn überlebte.
Er wog nur noch 39 Kilo,
doch er trug das Gewicht
von sieben Lagern,
von verlorener Familie,
von einer Geschichte,
die niemals endete.
Und dennoch …
er baute wieder auf.
Nicht nur sich selbst und eine Familie,
sondern jüdisches Leben im Ruhrgebiet,
eine Zukunft aus der Asche.
Er pflanzte einen Wald,
in Israel,
für jene, die nicht mehr da waren.
Er erzählte Schülern wie uns seine Geschichte,
damit wir nicht vergessen.
Wir stehen heute hier,
mit seiner Geschichte.
Nicht als Opfer,
nicht als bloße Zuhörer.
Wir sind Zweitzeugen.
Wir erzählen weiter,
weil seine Stimme nicht verstummen darf.
Und jetzt,
wo ihr all das gehört habt,
seid ihr Zeugen,
seid ihr die,
die weitersagen,
was war,
damit es niemals vergessen wird.
Wir wollen Zeugen sein.
von Ella S., Amira D., Pia F., Franziska W., Mex G., Colin Z.